Von der Zweckfreiheit der Kunst
Arbeiten von Urszula Sliz und Tobias Stengel werden in der Alten Feuerwache Lochwitz präsentiert.
Beide Künstler, Urszula Sliz und Tobias Stengel, lernten sich während einer Ausstellung in Polen kennen und entdeckten dabei ihre künstlerische Verwandtschaft. Aus unterschiedlicher Perspektive und von unterschiedlichen Ansätzen kommend, gelangten sie immer wieder zu ähnlichen ästhetischen Erkenntnissen. Nun stellen beide in einer gemeinsamen Ausstellung in der Alten Feuerwache Loschwitz ihre jüngsten Arbeiten unter dem Titel „Geometrie der Unruhe“ aus, die dialogisch angelegt, ein Gesamtkunstwerk von hohem künstlerischen Wert darstellt. Beide bevorzugen das Spiel mit Fläche und Form, wobei immer wieder durch Überlagerungen verschiedene transparente Bildebenen entstehen. Kunst als visuelle Sprache dient hier als Mittel der Verständigung über die verbalen Sprachbarrieren hinweg. Grundlage und Inspiration der Arbeit sind für sie Mathematik, Physik und Philosophie. Beide fasziniert die Zweckfreiheit der Kunst, das freie Spiel.
Die aus Wrocław stammende Polin Urszula Sliz stellt in ihren Acrylbildern die konstruktiv-geometrische Ausdrucksweise von geometrischen Formen und Flächen, gekrümmten und durchbrochenen Lineaturen in den Mittelpunkt, um die sie in einem langen Prozess ringt, während sie das Emotionale und Unergründbare immer wieder einbezieht. In ihren von Zeichen durchdrungenen Formen erreicht sie durch Kombination und Überblendungen von Farbfolien ein vieldeutiges, zweidimensionales Kunstwerk von großer emotionaler Tiefe. Ein Tafelbild aus der Serie „Fermiony“ (2016) spielt mit dem spontanen Eingriff von zwei Seiten in die schwarze Fläche, der wie ein Gestus wirkt und die Akkuratesse des „Schwarzen Quadrats“ von Kasimir Malewitsch aufnimmt, interpretiert und verwandelt. Durch eine Störung oder Unförmigkeit des Bildrhythmus werden eine Regung des Gefühls oder einer Stimmung zum Ausdruck gebracht. Natur und Geometrie treffen aufeinander, spiegeln sich im künstlerischen Selbst. Solcher Art Unregelmäßigkeiten beleben jedes Bild, indem sie sich wieder zu einem harmonischen Ganzen fügen. „Abstraktion verwandelt sich nicht in Symbole, sondern begegnet dem Gedächtnis an die Bedeutung der Begriffe“, schreibt die Künstlerin im Katalog von 2020. Die Quasi-Sprachlichkeit ihrer Bilder offenbart die Suche nach Ordnung im kosmischen Chaos, das sukzessive Streben nach Ausgleich und Harmonie im Kunstwerk, dass vom Betrachter nachvollzogen werden kann.
Mit „subjektiven Forschungen“ (S. Greinke) füllt Tobias Stengel seine vielen Skizzenbücher, um darin seine Arbeiten vorzubereiten, besonders die zum „Goldenen Schnitt“, der seit der Antike und der antiken Mathematik als Grundlage künstlerischer Kompositionen angewandt wird. Form und Zahl hängen direkt miteinander zusammen. Mathematik wird zum Gegenstand ästhetischer Untersuchungen, die Schönheit einer Formel oder eines geometrischen Gebildes, wie das Hexaeder. In seinen Zeichnungen notiert er geometrisch-räumliche Zusammenhänge, wie in „Goldener Schnitt“ (Buntstift, 2016), einem Zehneck, in das Stengel harmonisch Quadrate und Trapeze integrierte, die eine Assoziation von kristallinen Strukturen erzeugen. Seine bizarren Skulpturen aus naturfarbenen Gips korrespondieren mit Zahlen-und Buchstaben-Sudokus und folgen einem mathematischen Prozess: Die gleiche Zahl oder der gleiche Buchstabe werden mit Linien verbunden, die den Grundriss seiner Skulpturen bilden, die sich als räumliche Formen staffelweise gebrochen nach oben schichten und schieben. Im Raum angeordnet ergeben sie als archaische, figürliche Solitäre einen starken meditativen Eindruck, der durch die Ruhe und strukturelle Geordnetheit der Skulptur verursacht wird.
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Works by Urszula Sliz and Tobias Stengel are presented at the Alte Feuerwache Lochwitz.
Both artists, Urszula Sliz and Tobias Stengel, met during an exhibition in Poland and discovered their artistic affinity. Coming from different perspectives and approaches, they repeatedly arrived at similar aesthetic insights. Now, in a joint exhibition at the Alte Feuerwache Loschwitz, both are exhibiting their most recent works under the title "Geometrie der Unruhe" (Geometry of Restlessness), which, laid out in dialogue, represents a total work of art of high artistic value. Both prefer to play with surface and form, repeatedly creating different transparent pictorial levels through superimpositions. Art as a visual language serves here as a means of communication across verbal language barriers. The basis and inspiration for their work are mathematics, physics and philosophy. Both are fascinated by the purposelessness of art, the free play.
Urszula Sliz, a Polish artist from Wrocław, focuses in her acrylic paintings on the constructive-geometric expression of geometric shapes and surfaces, curved and openworked lineatures, which she wrestles with in a long process, while always including the emotional and unfathomable. In her forms, permeated by signs, she achieves an ambiguous, two-dimensional work of art of great emotional depth by combining and blending colour transparencies. A panel painting from the series "Fermiony" (2016) plays with the spontaneous intervention from two sides in the black surface, which acts like a gesture and takes up, interprets and transforms the accuracy of Kasimir Malevich's "Black Square". A disturbance or irregularity in the rhythm of the picture expresses an emotion or mood. Nature and geometry meet, mirror each other in the artistic self. Such irregularities enliven each painting by reuniting into a harmonious whole. "Abstraction does not transform itself into symbols, but encounters the memory of the meaning of concepts," writes the artist in the 2020 catalogue. The quasi-linguistic nature of her paintings reveals the search for order in cosmic chaos, the successive striving for balance and harmony in the work of art that can be comprehended by the viewer.
Tobias Stengel fills his many sketchbooks with "subjective research" (S. Greinke) to prepare his works, especially those on the "golden section", which has been applied since antiquity and ancient mathematics as the basis of artistic compositions. Form and number are directly related. Mathematics becomes the object of aesthetic investigation, the beauty of a formula or a geometric structure, such as the hexahedron. In his drawings, he notes geometric-spatial relationships, as in "Golden Section" (coloured pencil, 2016), a decagon into which Stengel harmoniously integrated squares and trapezoids that create an association of crystalline structures. His bizarre sculptures made of natural-coloured plaster correspond with number and letter sudokus and follow a mathematical process: the same number or letter is connected with lines that form the ground plan of his sculptures, which are layered and pushed upwards as spatial forms broken in tiers. Arranged in space, they produce a strong meditative impression as archaic, figurative solitaires, caused by the calm and structural orderliness of the sculpture.
Arbeiten von Urszula Sliz und Tobias Stengel werden in der Alten Feuerwache Lochwitz präsentiert.
Beide Künstler, Urszula Sliz und Tobias Stengel, lernten sich während einer Ausstellung in Polen kennen und entdeckten dabei ihre künstlerische Verwandtschaft. Aus unterschiedlicher Perspektive und von unterschiedlichen Ansätzen kommend, gelangten sie immer wieder zu ähnlichen ästhetischen Erkenntnissen. Nun stellen beide in einer gemeinsamen Ausstellung in der Alten Feuerwache Loschwitz ihre jüngsten Arbeiten unter dem Titel „Geometrie der Unruhe“ aus, die dialogisch angelegt, ein Gesamtkunstwerk von hohem künstlerischen Wert darstellt. Beide bevorzugen das Spiel mit Fläche und Form, wobei immer wieder durch Überlagerungen verschiedene transparente Bildebenen entstehen. Kunst als visuelle Sprache dient hier als Mittel der Verständigung über die verbalen Sprachbarrieren hinweg. Grundlage und Inspiration der Arbeit sind für sie Mathematik, Physik und Philosophie. Beide fasziniert die Zweckfreiheit der Kunst, das freie Spiel.
Die aus Wrocław stammende Polin Urszula Sliz stellt in ihren Acrylbildern die konstruktiv-geometrische Ausdrucksweise von geometrischen Formen und Flächen, gekrümmten und durchbrochenen Lineaturen in den Mittelpunkt, um die sie in einem langen Prozess ringt, während sie das Emotionale und Unergründbare immer wieder einbezieht. In ihren von Zeichen durchdrungenen Formen erreicht sie durch Kombination und Überblendungen von Farbfolien ein vieldeutiges, zweidimensionales Kunstwerk von großer emotionaler Tiefe. Ein Tafelbild aus der Serie „Fermiony“ (2016) spielt mit dem spontanen Eingriff von zwei Seiten in die schwarze Fläche, der wie ein Gestus wirkt und die Akkuratesse des „Schwarzen Quadrats“ von Kasimir Malewitsch aufnimmt, interpretiert und verwandelt. Durch eine Störung oder Unförmigkeit des Bildrhythmus werden eine Regung des Gefühls oder einer Stimmung zum Ausdruck gebracht. Natur und Geometrie treffen aufeinander, spiegeln sich im künstlerischen Selbst. Solcher Art Unregelmäßigkeiten beleben jedes Bild, indem sie sich wieder zu einem harmonischen Ganzen fügen. „Abstraktion verwandelt sich nicht in Symbole, sondern begegnet dem Gedächtnis an die Bedeutung der Begriffe“, schreibt die Künstlerin im Katalog von 2020. Die Quasi-Sprachlichkeit ihrer Bilder offenbart die Suche nach Ordnung im kosmischen Chaos, das sukzessive Streben nach Ausgleich und Harmonie im Kunstwerk, dass vom Betrachter nachvollzogen werden kann.
Mit „subjektiven Forschungen“ (S. Greinke) füllt Tobias Stengel seine vielen Skizzenbücher, um darin seine Arbeiten vorzubereiten, besonders die zum „Goldenen Schnitt“, der seit der Antike und der antiken Mathematik als Grundlage künstlerischer Kompositionen angewandt wird. Form und Zahl hängen direkt miteinander zusammen. Mathematik wird zum Gegenstand ästhetischer Untersuchungen, die Schönheit einer Formel oder eines geometrischen Gebildes, wie das Hexaeder. In seinen Zeichnungen notiert er geometrisch-räumliche Zusammenhänge, wie in „Goldener Schnitt“ (Buntstift, 2016), einem Zehneck, in das Stengel harmonisch Quadrate und Trapeze integrierte, die eine Assoziation von kristallinen Strukturen erzeugen. Seine bizarren Skulpturen aus naturfarbenen Gips korrespondieren mit Zahlen-und Buchstaben-Sudokus und folgen einem mathematischen Prozess: Die gleiche Zahl oder der gleiche Buchstabe werden mit Linien verbunden, die den Grundriss seiner Skulpturen bilden, die sich als räumliche Formen staffelweise gebrochen nach oben schichten und schieben. Im Raum angeordnet ergeben sie als archaische, figürliche Solitäre einen starken meditativen Eindruck, der durch die Ruhe und strukturelle Geordnetheit der Skulptur verursacht wird.
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Works by Urszula Sliz and Tobias Stengel are presented at the Alte Feuerwache Lochwitz.
Both artists, Urszula Sliz and Tobias Stengel, met during an exhibition in Poland and discovered their artistic affinity. Coming from different perspectives and approaches, they repeatedly arrived at similar aesthetic insights. Now, in a joint exhibition at the Alte Feuerwache Loschwitz, both are exhibiting their most recent works under the title "Geometrie der Unruhe" (Geometry of Restlessness), which, laid out in dialogue, represents a total work of art of high artistic value. Both prefer to play with surface and form, repeatedly creating different transparent pictorial levels through superimpositions. Art as a visual language serves here as a means of communication across verbal language barriers. The basis and inspiration for their work are mathematics, physics and philosophy. Both are fascinated by the purposelessness of art, the free play.
Urszula Sliz, a Polish artist from Wrocław, focuses in her acrylic paintings on the constructive-geometric expression of geometric shapes and surfaces, curved and openworked lineatures, which she wrestles with in a long process, while always including the emotional and unfathomable. In her forms, permeated by signs, she achieves an ambiguous, two-dimensional work of art of great emotional depth by combining and blending colour transparencies. A panel painting from the series "Fermiony" (2016) plays with the spontaneous intervention from two sides in the black surface, which acts like a gesture and takes up, interprets and transforms the accuracy of Kasimir Malevich's "Black Square". A disturbance or irregularity in the rhythm of the picture expresses an emotion or mood. Nature and geometry meet, mirror each other in the artistic self. Such irregularities enliven each painting by reuniting into a harmonious whole. "Abstraction does not transform itself into symbols, but encounters the memory of the meaning of concepts," writes the artist in the 2020 catalogue. The quasi-linguistic nature of her paintings reveals the search for order in cosmic chaos, the successive striving for balance and harmony in the work of art that can be comprehended by the viewer.
Tobias Stengel fills his many sketchbooks with "subjective research" (S. Greinke) to prepare his works, especially those on the "golden section", which has been applied since antiquity and ancient mathematics as the basis of artistic compositions. Form and number are directly related. Mathematics becomes the object of aesthetic investigation, the beauty of a formula or a geometric structure, such as the hexahedron. In his drawings, he notes geometric-spatial relationships, as in "Golden Section" (coloured pencil, 2016), a decagon into which Stengel harmoniously integrated squares and trapezoids that create an association of crystalline structures. His bizarre sculptures made of natural-coloured plaster correspond with number and letter sudokus and follow a mathematical process: the same number or letter is connected with lines that form the ground plan of his sculptures, which are layered and pushed upwards as spatial forms broken in tiers. Arranged in space, they produce a strong meditative impression as archaic, figurative solitaires, caused by the calm and structural orderliness of the sculpture.